ars-et-saliva
david p. eiser
zeitraffer
auf der suche nach Gott
unsere bemühungen, den gott des glaubens zu materialisieren, zeugen von
dem uralten wunsch des menschen, sich in Gottes nähe zu rücken. das be-
dürfnis, Gott etwas menschliches zuzusprechen, ihn wenigstens zum teil
verstehen zu können, entsteht aus der angst, sterben zu müssen und nach
dem tod verloren zu sein.
diese Vorstellung ist noch nie zu ertragen gewesen. deshalb muss seit alters
her in allen religionen Gott dafür herhalten, dass wir das gefühl entwickeln
können: da fängt uns anschliessend einer auf. und am schönsten wäre es
natürlich, wenn er so dächte und fühlte wie wir auch, und am besten wäre
es, wenn es mit wenigstens so einer art leben wie hier weitergehen könnte.
mit anderen worten: wir möchten unsere vorstellungen (unseren geist, un-
sere seele) hinüberretten.
natürlich wissen wir inzwischen, dass dem nicht so ist. der gott des glau-
bens wird zwar immer wieder vermenschlicht, aber "ganz tief drinnen " wis-
sen wir, dass er lediglich das symbolisiert, was jenseits des menschen ist.
wir wünschen ihn uns ewig, allmächtig und allgegenwärtig. allein auf der
basis dieser wunschvorstellungen wird schon klar, dass er nichts mit uns
menschen gemein haben kann, weil eine solche leistung mit menschlichen
mitteln nicht mal im traum erreichbar wäre.die ausstattung des menschen ist im vergleich dazu dermassen kümmer-
lich, dass uns gar nichts anderes übrig bleibt als zu hoffen, dass Gott weit
jenseits des menschen ist, einerseits, andererseits aber auch wieder ganz
nah, nämlich als ewigkeit omnipräsent; wobei der mensch ein teilstück der
ewigkeit ist.
das zentralnervensystem des menschen ist nur in der lage, seriell zu arbei-
ten. das bedeutet, dass parallel laufende ereignisse im bewusstsein nicht
bearbeitet werden können. aufgrund dieses konstruktionsmerkmals ergibt
sich die notwendigkeit, die zeit zu erfinden, um sich in der nicht fassbaren
ewigkeit orientieren zu können. dasselbe prinzip gilt für den raum. augen
zum sehen, ohren zum hören, das gleichgewichtsorgan, hände zum tas-
ten eignen sich nur für kürzeste entfernungen in unmittelbarer nähe des
körpers. den rest der welt zu "begreifen", ist nicht möglich, weil das auf-
lösungsvermögen unserer sensoren nicht ausreicht, um atome und gala-
xien gleichermassen erkennen zu können. der gott des glaubens jedoch
soll all diese fähigkeiten besitzen und wird damit unvorstellbar, unbe-
schreibbar und unbegreiflich.
innerhalb dieses widerspruchs suchen wir nach ihm und hängen ihm in
unserer kindlichkeit ein menschliches, väterliches gewand um. wir attes-
tieren ihm liebe, güte, gnade, gerechtigkeit und viele weitere durchweg
positiv besetzte attribute, allesamt ausgeburten unserer eigenen gedan-
kenwelt und wünsche, die wie der wunsch nach erlösung - als gnädige
leistung Gottes -, irreal wie sie sind, natürlich nicht auf bestellung in er-
füllung gehen. erlösung beispielsweise ist keine gnade sondern eine
zwangsläufigkeit, die mit dem tod frei haus geliefert wird.
was not tut, ist nicht die wissenschaftlich begründete suche nach Gott.
für das bedürfnis nach religio ist der gott des glaubens vorhanden. es
muss den kindern nur der weg gewiesen werden, diesen akt der bedürf-
nisbefriedigung in aller unschuld zu vollziehen. wer darüber hinaus ver-
sucht, Gott mit wissenschaftlichen methoden auf die spur zu kommen,
erweist dem menschen keinen dienst. jede aufgefundene und vom men-
schen verstehbare eigenschaft Gottes bringt ihn uns vielleicht näher,
entwertet ihn aber zugleich.
es wäre also zu fordern, den begriff theologie neu zu definieren, um in
diesem fach die wissenschaftliche - zur Zeit schwerpunktmässig natur-
wissenschaftliche - forschung nach einem schöpfer des ganzen voran-
zutreiben. dass dies allerdings ein aussichtsloses unterfangen ist, er-
gibt sich von selbst aus der menschlichen perspektive: jenseits des
menschen wird es keines schöpfers und keines schöpfungsakts bedür-
fen. jenseits des menschen sind menschliche fragestellungen irrelevant.
religion aber als umgang mit dem gott des glaubens ist in den händen
von gläubigen zu belassen, die frei sind von dem gemeinen bedürfnis
nach gottesbeweisen. die frei sind von machtansprüchen und macht-
erhaltungsgelüsten. die sich keiner hierarchie, keiner konzernmenta-
lität und keinen ideologien verpflichtet fühlen und weder personale
noch sächliche insignien benötigen, um ihrer botschaft gewicht zu
geben sondern in der lage sind, auf das zentrale grundbedürfnis des
menschen einzugehen: nimm-mir-die-angst-vor-dem-tod und ihm hel-
fen, auf etwas zu hoffen, wofür es keinen anhaltspunkt gibt, den wir
begreifen könnten.
die faszination des glaubens beruht auf seiner irrationalität. die suche
nach dem objekt des glaubens ist seine kernaktivität. wo wissen be-
ginnt, hört glaube auf. an dem punkt wird sich der mensch etwas
anderes suchen müssen.
© dpe
2004