ars et saliva
david p. eiser
zeitraffer
caniphobie
(lat., angst vor hunden), die unterschätzte
krankheit aus der kran-
kengeschichte des L. F. aus S.
herr F. hat sich mit der veröffentlichung des nachfolgenden
auszuges aus seiner
krankengeschichte schriftlich einverstanden erklärt. eine
identifizierung des pati-
enten, der an einer schweren, therapieresistenten caniphobie leidet,
wird durch
die veränderung der initiale unermöglicht. auch das datum der
untersuchung
wurde aus datenschutzrechtlichen gründen unkenntlich gemacht.
dieser auszug
schildert eindrücklich, welches ausmass eine solche psychische
störung anneh-
men kann.
sogar nachts im traum treiben schreckensszenarien den patienten an den
rand
des wahnsinns.
patient erzählt am 12.mm.20jj anlässlich einer
nachuntersuchung:
die sache mit dem hundekot
"ich sollte dafür sorgen, dass das
frühstückstablett
mit der kleinen kanne und dem
pflaumenmusbrot rechtzeitig abgeliefert wurde. es stand alles bereit.
ich nahm das
tablett, ging hinaus und zu dem kleinen tisch hinüber, an dem
schon jemand sass
und ebenfalls auf den zug zu warten schien. zu seiner rechten sass ein
mittelgrosser
mischlingshund, der ihn freundlich anschaute, während er sich
behaglich kraulen
liess. ich stellte das tablett vorsichtig ab, und beim hinsetzen hielt
ich kurz ausschau,
konnte jedoch keinen zug entdecken.
der jemand deutete mein verhalten richtig und sagte schmunzelnd: "heute
werden
sie wohl vergeblich auf den zug warten. er fährt nicht."
"oh, nein," entfuhr es mir, "wie soll ich denn das frühstück
abliefern, wenn ich nicht
in die stadt komme, und wie soll ich zur arbeit kommen, wenn ich keinen
zug erwi-
sche?!"
nach einer kurzen weile des nachdenkens stand ich zögernd auf,
noch immer etwas
unschlüssig, unwirsch auch, vielleicht auch ein wenig ratlos und
ging zurück ins
krankenhaus. - es war ein uraltes krankenhaus mit meterhohen fluren,
bogigen durch-
gängen und riesigen türen, von denen die farbe
blätterte.
alle flächen erschienen matt; die grünlichen
fliesen,
die gelblichen kacheln, die grau-
en, abgescheuerten fussböden, mattes weiss an den wänden und
decken, sofern
krankenhaus-weiss überhaupt eine farbe ist, matter glanz, mattes
licht, eher viel
mehr dunkelheit ...
in den uralten treppenhaustüren steckten noch reste von scheiben
mit grünem, ro-
tem und blauem glas, geriffelt, gekörnt, wie es
damals so üblich war, zwischen ge-
schwungenen holzleisten, jetzt aber zum grössten teil durch
stumpfes milchglas
ersetzt oder schäbiges sperrholz.
drinnen sagte ich bescheid, dass ich heute nicht würde fahren
können, weil es kei-
nen zug gebe. man nahm dies mit gleichmut zur kenntnis und bot mir ein
bett an.
"im zimmer 6 ist doch noch eins frei. legen sie sich ruhig schon mal
rein."
wie mechanisch begab ich mich zum zimmer 6, entdeckte das freie bett,
zog mich
aus und legte mich hinein. es war sehr dämmerig im raum und
ziemlich still. was
die anderen patienten redeten, konnte ich nicht verstehen; denn als ich
hereinkam,
steckten sie die köpfe zusammen und sprachen nur sehr leise.
unter dem dicken, aufgeplusterten oberbett lag ich wie ein hilfloses
etwas. mein
blick war begrenzt von bettwäsche und erstreckte sich bis zur weit
entfernten
schmutzigen zimmerdecke über mir, von der eine alte pendelleuchte
mit - früher -
weisser glaskugel herabhing. die anschlussdrähte ragten
ungeschützt aus der
unter der decke entlanglaufenden rohrleitung heraus; die zierkappe war
längst her-
untergerutscht und hing schräg über der abdeckung der
glaskugel.
nach einer weile stumpfen vor-mich-hinbrütens stellte ich fest,
dass diese situation
mich nicht weiterbringen konnte. es kam auch niemand vorbei, um mich
nach
meinem befinden zu befragen, anscheinend war ich keinem aufgefallen,
oder man
hatte keine zeit oder vielleicht auch keine lust, sich um jemanden zu
kümmern, der
seine morgendliche aufgabe nicht erfüllt hatte.
schliesslich warf ich das oberbett zurück, stand auf und zog mich
an. ohne von den
anderen weiter notiz zu nehmen, verliess ich das zimmer und lief in die
flure hinein,
in die verwinkelten gebäudetrakte, vorbei an unzähligen
türen, die teils offenstan-
den, teils geschlossen waren, teils gekennzeichnet durch blasse
schilder oder nur
einfache handgefertigte aufschriften oder überhaupt durch nichts.
als mir wieder mal am ende eines ganges eine weitere
tür
den weg versperrte, ent-
deckte ich zu meinem grössten erstaunen eine gehörige portion
einer dunklen,
braunschwarzen masse auf der klinke. froh, dies noch rechtzeitig
bemerkt zu haben,
schob ich die tür, die nur angelehnt war, mit dem fuss auf und
schlüpfte hindurch,
mit enggestellter nase, das einatmen des üblen geruches
möglichst vermeidend.
aber wie es so ist im leben: kaum einer gefahr entronnen, froh, etwas
bewältigt zu
haben, reicht die aufmerksamkeit für eine kleine weile nicht mehr
aus, um im näch-
sten umfeld notwendiges wahrzunehmen, und beim öffnen und
schliessen der
nächsten tür hatte ich prompt beide hände mit kot
verschmiert. ein übelwollender
oder vielleicht auch trotteliger zeitgenosse hatte dafür gesorgt,
dass auch noch
andere beglückt wurden. aber welch tückisches,
hinterhältiges spiel!
angewidert betrachtete ich meine hände, drehte sie misstrauisch
hin und her, hielt
sie in gebührendem abstand von mir ausgestreckt und machte mich
auf die suche
nach einer waschgelegenheit. "wc", fiel mir ein, "danach musst du
suchen."
und dann begann eine odyssee durch dieses haus, die ich nie vergessen
werde.
ich lief von tür zu tür, immer in der hoffnung,
nun ja bald fündig zu werden. irgend-
wo musste doch eine toilette, ein waschbecken sein; es war wie verhext.
entweder
es gab wirklich keine waschgelegenheit oder ich war blind daran
vorbeigelaufen
oder sie waren nicht gekennzeichnet, wie so vieles in diesem
merkwürdigen gebäu-
de.
ich eilte die stufen hinauf und hinunter in immer andere flure, in
andere stationen,
schaute in arbeitsräume hinein, die vollstanden mit material, mit
wäschekübeln,
betten zum saubermachen, nachttischen, fand hier nichts und dort
nichts, rannte
weiter, mit erhobenen händen, suchte, irrte zurück.
verzweiflung und allmählich
auch wut machten sich breit in mir. ich strengte mein gehirn an, um
meine erre-
gung zu dämpfen und eine lösung zu finden, spürte
jedoch, wie mir von schritt
zu
schritt der ärger und der zorn über den kopf zu wachsen
drohten.
schliesslich, wie aus heiterem himmel fiel mir ein "im zimmer! im
zimmer gibt es
doch ein waschbecken!"
ich rannte zurück durch die endlosen
verwinkelten flure,
treppauf, treppab, schau-
te nicht mehr links noch rechts, strebte unbeirrt meiner station und
dem zimmer
nummer 6 entgegen. mit dem rechten ellenbogen öffnete ich die
tür und stürzte
hinein, auf das waschbecken zu, endlich, dachte ich, ist dieser
albtraum vorbei.
aber im näherkommen erstarrte ich; denn am waschbecken stand die
schwester
und wusch dort das frühstücksgeschirr der patieten ab.
ich glaubte, in meinem gehirn eine explosion zu verspüren, riss
die hände hoch,
faltete sie und schrie: "schwester, ich flehe sie an, wenn sie mir
nicht sofort" -
dabei ging ich vorsichtig in die kniee, ohne jedoch das drohende in
meinem tonfall
zu verändern, einfach nur, um der sache den gehörigen
nachdruck zu verleihen -
"wenn sie mir nicht sofort eine waschgelegenheit besorgen, dann
könnte es sein,
dass ich mich vergesse! - ich flehe sie an, schwester!", wiederholte
ich, in meiner
dringlichen haltung verharrend.
aber sie hatte schon die hände an ihrer schürze abgewischt,
hatte mich mit ent-
geistertem blick angeschaut, sich leicht zurückgebeugt, um mir
nicht zu nahe zu
kommen, hatte sich umgedreht und war eilends aus dem zimmer gelaufen.
schnell
erhob ich mich, stürzte ihr nach und sah sie gerade noch hinter
einer anderen tür
auf dem flur verschwinden. dort war ein wäscheraum, und sie stand
wie ein zim-
mermädchen, etwas verängstigt allerdings, neben einem
waschbecken, auf wel-
ches sie zaghaft mit dem rechten arm hinwies. in ihren augen lauerte
etwas wie
angst und unsicherheit, und sie machte sich sofort aus dem staub,
nachdem ich
sie aufgefordert hatte, mir das wasser anzustellen.
und dann wusch ich mir die hände. ich wusch mir die hände,
und wusch, mit klarem
wasser, mit seife, mit wasser, mit seife, und wusch und wusch, bis ich
sicher war,
dass nun nichts anstössiges mehr an ihnen klebte. ich hob sie
hoch, betrachtete
sie im trüben licht
der spiegellampe, roch an ihnen und nahm nur den frischen
seifengeruch wahr, sonst nichts mehr, trocknete sie ab und war
glücklich, einfach
nur glücklich, unendlich glücklich, dass diese quälerei
ausgestanden war. -
ich lag auf dem rücken, als ich aufwachte und
spürte,
dass ich meine arme ange-
winkelt und die hände etwas abgespreizt über meiner brust
hielt. und im gleichen
augenblick schoss es mir durch den kopf: "das darf doch wohl nicht wahr
sein!
das darf einfach nicht wahr sein! die ganze wascherei, alles nur
einbildung!"
und ich spürte, wie die erregung wieder hochkam und sich meiner
bemächtigen
wollte. vorsichtig hielt ich meine arme weiter weg, in ausreichendem
abstand von
der bettdecke, um nur ja nichts zu beschmutzen. und während ich
noch überlegte,
was nun zu unternehmen sei, wurde ich wacher und wacher und begriff
allmählich,
dass das ganze nur eine nächtliche gehirnaktivität gewesen
war. misstrauisch noch
bewegte ich langsam meine hände in richtung meiner nase,
schnupperte vorsichtig
und stellte fest, dass sie vollkommen sauber waren.
da war nichts mehr mit hundekot und auch nichts mehr mit seifenduft.
sie rochen
völlig normal, so wie hände nachts riechen.
und erst dann war es mir möglich, die arme sinken, die schultern
fallen zu lassen,
mich auf meinem kopfkissen entspannt zurückzulegen und das ganze
als traum
zu begreifen."
*
vermerk des behandelnden arztes dr. med. J. Qu.* eine woche
später:
wieder so ein scheisstraum. hört das denn niemals
auf?
habe die darstellung der
krankenhausräumlichkeiten der verwaltung zur kenntnis gebracht.
verwaltungs-
leiter in seinem dick gepolsterten ledersessel plusterte sich auf und
meinte, ich
solle mich um eine bessere medikamentöse einstellung kümmern.
alles übrige
ginge mich nix an.
-
werde bei k&k anfragen, ob sie über sowas nicht mal einen
bericht schreiben können.
* initiale von der redaktion verändert (der arzt heisst
eigentlich Qu. J. und hat sich
mit dieser offenlegung schriftlich einverstanden erklärt)
(aus heft 7 des "kot und köter"-magazins, mai 2016)
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28052016