ars et saliva
david p. eiser
zeitraffer
religionsunterricht in schulen?
wir leben
in einem staat, der sich laut grundgesetz verpflichtet hat,
eine gewisse distanz
zu
kirchen und anderen religionsgemeinschaf-
ten zu wahren.
merkwürdigerweise
scheinen die aufmerksamkeit,
die z.b. der
unangenehmen
scientology-kirche gewidmet wird, und
die massnahmen, die
im
rahmen der sektenbeobachtung stattfin-
den, sehr
engäugig
betrieben zu werden. schliesslich gibt es bei
den „grossen“,
etablierten
religionsgemeinschaften doch genü-
gend anhaltspunkte,
um
ihnen ebenfalls auf die finger zu schauen.
die erste frage, die zu beantworten wäre, muss doch lauten:
geben diese institutionen (und zwar alle, nicht nur die sog. sekten)
anlass zur annahme,
von
ihnen könnte eine gefährdung der frei-
heitlichdemokratischen
grundordnung ausgehen?
auf der suche nach einer potentiellen gefährdung kann man sich
zweier
vorgehensweisen
bedienen: entweder man studiert, sofern
es sich um etablierte
juristische
personen handelt, deren in unter-
nehmensverfassungen
und
vereins- und stiftungssatzungen ver-
öffentlichte
ziele
und zwecke und prüft, ob es sich um demokratie-
verträgliche
absichten
handelt.
oder man analysiert die de facto-tätigkeit dieser institutionen
hin-
sichtlich ihrer
verträglichkeit
mit den staatlichen vorstellungen von
demokratie und
machtverteilung.
*
die religionsgemeinschaften propagieren auf der basis unterschied-
licher
selbstverfasster
texte regeln für das zusammenleben. dies
ist nichts neues
sondern
etwas, was von menschheitsbeginn an
zentraler bestandteil
der
religionen ist. historisch betrachtet hat es
sinn gemacht, regeln
für
das zusammenleben aufzustellen; denn
es war immer klug,
ein
gewisses ausmass an sicherheit um sich
herum zu schaffen, um
möglichst
unbeeinträchtigt den tag über-
stehen zu
können.
die regeln dienten dazu, gegenseitige gefähr-
dung zu
unterdrücken
und von aussen kommende gefährdung in
gemeinsamem interesse
abwehren
zu können.
um solche regeln durchzusetzen, bedarf es bis heute einer unan-
greifbaren
machtposition.
eine solche liess sich früher im einzelnen
durch
körperliche
und/oder geistige überlegenheit oder mit hilfe
von „getreuen“
erreichen
und aufrechterhalten, später durch mili-
tärische
überlegenheit
und/oder polizeiliche mittel. insbesondere
bei den letzteren
handelt
es sich um ausgesprochen kosteninten-
sive vorgehensweisen,
die
erhebliches eigenes vermögen erfordern.
doch schon sehr
früh
haben einzelne menschen erkannt, dass die
preiswerteste
lösung
dieses problems darin besteht, die religiosität
der menschen
auszunutzen
und ihnen per drohung, folter, erpres-
sung und ggf.
vernichtung
angst vor einer ewigen vergeltung ein-
zujagen, die sie nach
ihrem
tode zu erwarten hätten, wenn sie
sich den regeln des
herrschenden
widersetzen würden.
dieser brauchte demnach nur - möglichst regelmässig, ggf.
auch
mit zuckerbrot und
peitsche
- den beherrschten den zorn des je-
weiligen
allmächtigen
auf den pelz zu wünschen, um die vor angst
zurückzuckenden
untertanen
wieder gefügig zu machen. und das
alles ohne die
geringsten
kosten. im gegenteil, die unterdrückten
liessen sich zudem
auch
noch breitschlagen, ihren religiösen füh-
rern das haus zu
bereiten,
damit diese in wohlstand, protz und
prunk leben und
geniessen
konnten.
gleichzeitig wurden die unterdrückten so weit und so lange wie
möglich von
jeglicher
bildung ferngehalten, um nur ja keine eige-
nen argumente gegen
diese
herrschaftssysteme zu entwickeln.
erst mit der „aufklärung“ gelang es dem volk, sich aus diesen
fesseln ein
stück
weit zu befreien.
*
religiosität ist ein angeborenes psychisches merkmal, bei
dem einen
stärker,
bei dem anderen schwächer ausgeprägt.
religiosität
bezieht
sich auf fühlen und wollen. das heisst einer-
seits, man ist in der
lage,
religiöse gefühle bei sich selbst zu
entdecken, wenn man
sich
z.b. geheimnisvollen, also unbe-
kannten und
zunächst
nicht definierbaren wahrnehmungen
-
am besten mystischen
inhalts
- hingibt; andererseits äussert
sich
religiosität
als bedürfnis, das befriedigt werden will; als
aktive hinwendung zum
mysterium
einer höheren, am besten
ausserirdischen
macht,
von der man sich hilfe erhofft.
insofern ist religiosität ein normales persönlichkeitsmerkmal
und, was seine
bedeutung
betrifft, nichts anderes als die
übrigen
wesenszüge
auch.
*
der moderne freiheitlich-demokratische rechtsstaat gibt sich
regeln für das
zusammenleben
des eigenen volkes und für die
kommunikation und den
umgang
mit anderen völkern auf der
basis von
vernünftigen
übereinkünften. diese beruhen auf weit-
verbreiteten
erkenntnissen
aus psychologie und soziologie
sowie auf erfahrungen
im
umgang mit den menschen, unter
denen man gross
geworden
ist.
sie haben zum ziel, das tägliche leben möglichst leicht und
so
ungefährlich wie
möglich
zu machen.
in einer
umgebung
zu leben, in der man sicherheit verspürt,
nicht bedroht wird, nicht
um
sein leben fürchten muss, weil
man davon ausgehen kann,
dass
die meisten anderen diesel-
ben vorstellungen vom
leben
haben, ist uns zu einer selbst-
verständlichkeit
geworden;
aber nicht, weil wir an einen gott
glauben, sondern weil wir
uns
auf demokratischem wege und
per vernunftgeleitetem
konsens
entschieden haben, unser
zusammenleben diesen
regeln
des grundgesetzes und seiner
sekundären gesetze
zu
unterwerfen; um unsere ruhe und
sicherheit zu haben in diesem leben und nicht, um in einem
fiktiven „leben“ nach
unserem
tode einer „erlösung“ teilhaftig
zu werden.
die macht, die erforderlich ist, die beschriebenen sicherheiten
zu gewährleisten,
kommt
dem demokratischen staat zu, dem
hüter unserer
gesetze,
und zwar ungeteilt; denn alles, was
zum zusammenleben in
unserer
gemeinschaft gesagt und
geschrieben ist, ist das
ergebnis
ungezählter debatten, kontro-
versen, kompromisse,
erkenntnisse
und erfahrungen, die ihren
niederschlag in den
gültigen
gesetzbüchern gefunden haben.
allerdings haben wir
infolge
jahrtausendelanger indoktrination
eine fülle
religiös
gefärbter ethischer und moralischer vorstel-
lungen entwickelt, die
auch
unsere gesetzgebung beeinflussen.
beim blick auf die religionsgemeinschaften ist es daher erfor-
derlich, die frage
nach
dem gehalt an machtansprüchen zu
stellen; denn wenn
des
staates macht ungeteilt sein soll,
kann es nicht
angehen,
dass sich religiöse organisationen
ihr einerseits
entziehen,
um ein eigenständiges herrschafts-
system aufzubauen,
andererseits
unterstützung fordern und
in staatlichen und
politischen
angelegenheiten nach einfluss
und mitwirkung
streben.
*
religiöse bedürfnisse zu stillen, ist eine ausgesprochen
individuelle
angelegenheit. die entscheidung,
an
einen gott
o.ä. zu glauben
oder
dies nicht zu tun, muss deshalb eine
individuelle bleiben.
ob und wie das individuum an seine glaubensinhalte kommt,
ist im freiheitlichen
staat
völlig seinen eigenen entscheidungen
zu überlassen.
niemand
in diesem land hat das recht, einen
anderen menschen
unter
druck zu setzen, indem er ausser-
halb des gesetzes mit
geboten
und verboten droht und unhalt-
bare versprechungen
macht
sowie ungeheuerliche bestrafun-
gen in aussicht
stellt,
wenn gegen diese ge- und verbote ver-
stossen wird. in
einem
freiheitlich-demokratischen staat darf
neben den staatlichen
gesetzen
und vorschriften keine macht
regieren, die
darüber
hinaus gewalt über die bürger ausübt.
aber dennoch: dies geschieht tagtäglich. die religiösen
organisa-
tionen formulieren derlei fakten natürlich nicht in ihren unterneh-
mensverfassungen und satzungen und „kirchenrechten“. sie spre-
chen von sünde, um einzuschüchtern. sie sprechen von demut,
um unterwerfung zu fordern. sie lügen das blaue vom himmel
herunter, wenn sie vom paradies schwärmen, von erlösung, ver-
gebung von sünden, gottwohlgefälligkeit usw., um mit
versprech-
ungen zu ködern. aber sie haben keinerlei beweise für ihre be-
hauptungen.
ihre bemühungen bei den bürgern um angepasstheit,
folgsamkeit,
blindheit usw. haben in der teils zweitausendjährigen geschichte
dieser straff hierarchisch gegliederten organisationen durch das
ständige wiederholen von ritualen und formeln dazu geführt,
dass
freies, unabhängiges denken und nachdenken über die angebo-
tenen inhalte weitgehend unterdrückt wird, und zwar auf der basis
von angst vor sanktionen und dem eingebläuten respekt vor den
rechthaberischen herrschaftsgesten der selbsternannten „stellver-
treter gottes“, heilsbringer und gurus.
es sind nicht nur die christlichen kirchenkonzerne, die sich im
laufe der
jahrtausende
machtstrukturen geschaffen haben. alle
religionsstifter
waren
mehr oder weniger machtgierige menschen;
denn das einzige
motiv,
eine religion zu stiften, ist der wunsch
nach herrschen.
keiner
der stifter kann sich freimachen von dem
verdacht, dass er
etwas
anderes als macht und herrschaft ange-
strebt hat.
warum sollte jesus beispielsweise predigend durchs land gezogen
sein? es war ihm ein
bedürfnis,
die vorgegebenen regeln des alten
testaments mit
variationen
zu versehen und damit eine abweichung
von der bis dato
gelebten
jüdischen tradition zu initiieren. aber was
ging ihn denn die
religiosität
seiner mitmenschen an? was waren
denn seine motive,
seine
ideen zu propagieren und nicht für sich
zu behalten? wenn er
es
ertragen hätte, dass jeder für seine religio-
sität selbst
verantwortlich
ist, hätte er den mund halten müssen.
das tat er aber
nicht,
sondern er mischte sich ein und drohte und
belehrte und machte
unhaltbare
versprechungen, wie alle anderen
funktionäre
ihrer
glaubensgemeinschaften auch.
dahinter steckte - und steckt bis heute - reines machtstreben, ver-
kauft als
missionierungsauftrag.
dem „gläubigen“ wird bis heute
nichts anderes
übergestülpt
als ein netz aus obskuren „erkenntnis-
sen“, überholten
ge-
und verboten, regeln und verhaltensweisen,
deren effekt u.a.
darin
besteht, einzuschüchtern, schlechtes ge-
wissen zu
provozieren,
untertänig und abhängig von gnade und
wohlwollen zu machen. die beeinflussung der gläubigen geht
dabei soweit, dass
sie
die einschränkenden massnahmen als von
gott, der
höchsten
vorstellbaren instanz kommend akzeptieren,
obwohl sie von menschen konzipiert wurden und bis heute tag-
täglich von
diesen
angewendet werden:
eine perfekte gehirnwäsche auf der basis der in jahrtausenden
erprobten
unterdrückungsmethoden,
um die in ehrfurcht er-
starrten bürger
gefügig
zu machen und zu halten; und not-
wendig einzig und
allein
zum erhalt der machtstrukturen
der kirchenkonzerne
und
ähnlicher, religiosität benutzender
institutionen, aber
für
die stillung eines religiositätsbedürf-
nisses vollkommen
überflüssig.
die glaubensangebote der kirchenkonzerne und übrigen gemein-
schaften sind
wohlkalkulierte
marketingprodukte, mit deren hilfe
seit jahrtausenden
milliardenvermögen
umgesetzt werden. ökono-
misch betrachtet ist
diese
einzigartige form der wertschöpfung das
absolute optimum, das
auf
dem markt erzielbar ist: denn es bedarf
weder irgendwelcher
rohstoffe
noch des einsatzes von nennens-
werten eigenmitteln,
um
die wertzuflüsse in diese systeme zu ge-
nerieren und aufrecht
zu
erhalten. die gläubigen zahlen, zahlen,
zahlen… und
ausnahmslos,
um sich einen fiktiven „platz im him-
mel“ zu sichern oder
in
der fälschlichen annahme, unheil (sprich
sanktionen,
bedrohung,
erpressung) von sich fernzuhalten.
dieses handeln hat nichts mit dem individuellen persönlichkeits-
merkmal
religiosität
zu tun sondern missbraucht auf eine gemeine
art und weise die
religiöse
seite des menschlichen gefühlslebens
für die banale
erfüllung
ökonomischer und machtpolitischer ziele
nach dem bekannten
muster:
macht – besitz – genuss.
*
taufe, kommunion und konfirmation unmündiger kinder und deren
„unterrichtung in
religion“
sind akte der vereinnahmung widerstands-
unfähiger. sie
dienen
der frühzeitigen und einfachen, weil weitge-
hend
widerspruchsfreien,
rekrutierung von nachwachsenden
gefolgsleuten.
die programmierung der kinder und jugendlichen mithilfe religiöser
indoktrination und
dem
zwang zur teilnahme an rituellen handlun-
gen und ggf. sogar
zur
duldung medizinisch relevanter eingriffe,
die zu irreversiblen
körperlichen
merkmalen führen, ist ein eindeu-
tiges indiz für
eine
zielgerichtete und konsequent angewandte me-
thodik der
fremdbeeinflussung,
die dem heranwachsenden kaum
die wahl lässt,
sich
für oder gegen irgendetwas anderes zu ent-
scheiden. die
grösste
errungenschaft in unserem staat aber ist die
freiheit in der
persönlichen
entscheidung. und deshalb darf es
keine zweite macht im
staate
geben, die diese freiheit einschränkt
und gefährdet.
deshalb gehört „religion“ nicht als unterrichtsfach in
öffentliche
schulen, weil der
umgang
mit persönlichen religiösen gefühlen
kein bildungsauftrag
sein
kann. schliesslich gibt es für andere
gefühlsqualitäten
ja auch keine speziellen unterrichtsfächer.
jeder, der mit dem
gegenargument
kommt, dass „glauben“
gelehrt werden
müsse,
hat entweder nicht verstanden, dass die
entscheidung zu
glauben
oder nicht zu glauben beim individuum
liegt und ihn
überhaupt
nichts angeht. oder er ist ein funktionär,
der im interesse der
jeweiligen
glaubensorganisation agiert, ent-
gegen dem
demokratischen
freiheitsgebot.
die regeln des zusammenlebens auf der basis unserer freiheitlich
demokratischen
grundordnung
sind ein kompromiss, der konsen-
suell akzeptiert ist.
daran
ist nicht zu rütteln, und alle freiheiten,
die diese grundregeln
ermöglichen,
sind zu respektieren, und es
ist nicht zu
tolerieren
geschweige denn zu unterstützen, dass
machtvolle
religionsstrukturen
versuchen, diese regeln nach ihren
vorstellungen
auszuhebeln,
zu unterwandern, zu ergänzen und für
sekundär zu
halten.
der staat hat mit dem recht auch die exekutive - und diese exklusiv –
auf seiner seite, und
dieser
vormachtstellung des staates hat sich
alles andere
unterzuordnen.
alle, die sich damit nicht abfinden wol-
len, haben die
möglichkeit,
auf demokratischem weg eine verände-
rung
herbeizuführen.
wenn ihnen das nicht gelingt, mögen sie sich
zähneknirschend
fügen
oder einen anderen platz zum leben wählen.
*
die rein private angelegenheit einer glaubensbetätigung hat in der
öffentlichkeit
zunächst
nichts zu suchen. allerdings haben auch
religiöse
interessengemeinschaften
das recht, sich öffentlich dar-
zustellen. aber ihre
forderungen
nach zusätzlichen speziellen ge-
setzlichen regelungen
bzw.
ausnahmen, die weder mit dem ge-
sunden
menschenverstand
noch den aktuellen wissenschaftlichen
erkenntnissen zu
vereinbaren
sind, dürfen in unserem aufgeklärten
land kein gehör
finden.
religionsunterricht kann kein bildungsfach sein sondern ist
seinem wesen nach
indoktrination
entsprechend der jewei-
ligen
glaubensrichtung,
also beeinflussung im sinne der
gehirnwäsche. wenn religionswissen
als
bildungsinhalt vermit-
telt werden soll,
dann
muss es ideologie-unabhängig als glau-
bensübergreifende
religionskunde angeboten werden, im sinne
der
religionswissenschaften,
und nicht von glaubensfunktionären.
damit käme die
öffentliche
schule einem - notwendigen –
bildungsauftrag nach,
aber
nicht mit der einrichtung von evange-
lischem,
katholischem,
jüdischem, schiitischem, sunnitischem,
wahabbitischem,
orthodoxem
und - um der vollständigkeit näher
zu kommen -
einestages
vielleicht auch noch scientologischem
religionsunterricht.
zurück
januar
2013
david p. eiser