ars-et-saliva
 
 

david p. eiser

zeitraffer



zur weihnachtszeit  2017

brief an einen freund

lieber C.,
danke für deine Palästina-mails. es ist gut, ab und an daran erinnert zu werden, was sich weit
entfernt von uns tagtäglich ereignet, und das seit nun schon über
50 jahren, ohne dass sich am
horizont ein streifen hoffnung zeigt.


ziemlich entmutigt neige ich zeitweilig zu folgender erkenntnis:


beide betroffenen völker sind nicht nur zu bemitleiden sondern auch zu bedauern wegen ihrer
dummheit. die einen, starken, die sich nicht trauen, ihre
- begründete - angst über bord zu wer-
fen, um darauf aufbauend ein umfeld zu
schaffen, das auf gegenseitigem vertrauen basiert,
und die anderen, schwachen,
die aus fast 60-jährigem kampf nicht gelernt haben, dass sie
keine chance haben.


so könnte man es vom hohen ross aus betrachten.

das elend fortzusetzen oder zu beenden liegt aber leider nicht in der macht und der ohnmacht der
beiden völker allein. es handelt sich hier, wie überall auf der
welt, wo sich ähnliches abspielt,
auch um die folgen von ausseneinwirkungen.

es spielen sowohl machtvolle und machtgierige nachbarn wie aus der ferne agierende staaten be-
einflussende, intervenierende, steuernde, drohende rollen.
und dies nicht etwa aufeinander ab-
gestimmt sondern zerrissen und unkoordiniert,
so dass die beiden länder ununterbrochen zwi-
schen allen ausssenmächten und
deren interessen, begehrlichkeiten und wirtschaftlich/militäri-
schen fähigkeiten
hin- und hergezerrt werden.

inzwischen müssen wir wohl davon ausgehen, dass beide parteien nicht mehr in der lage sind,
aus eigenen kräften eine gemeinsame zukunft aufzubauen.


das erinnert mich an Deutschland im jahre 1945. wenn da nicht die Alliierten gemeinsame interes-
sen zusammengeworfen und das land entmilitarisiert und
zwangsdemokratisiert hätten, wäre ich
heute wahrscheinlich, wenn ich denn
überhaupt überlebt hätte, nicht dabei, dir diese mail zu
schreiben.


was ich damit sagen will: es bedarf eines machtvollen, gemeinsamen, auf ein einziges ziel gerich-
teten "eingriffs" von aussen, um frieden in diese region zu
bringen. nur wenn beide seiten entwaff-
net sind und sich beide seiten einer
zwangsweisen, kontrollierten demokratisierung unterwerfen
mit dem einen ziel,
eine stabilisierende gemeinschaft in ihrer region zu werden, sehe ich eine
chance auf dauerhafte friedensentwicklung.

aber leider gibt es ja bekanntlich genügend differente interessenten intern wie extern, die sich
einem solchen eingreifen entgegenstellen würden.


dennoch sage ich, dass es nicht ausreicht, auf mehr oder weniger privater ebene "gutes zu tun"
und frieden zu propagieren (nicht nach mehr als zwei
generationen erfolglosigkeit). es muss ein
umdenken bei den aussen
steuernden erzielt werden, und da könnten wir in deutschland schon
mal
mit anfangen. aber frag doch mal bei den politikern nach, wer sich denn dafür einsetzt, im
nahen osten frieden zu schaffen. gibt es wahlaussagen
irgendeiner partei, die sich nicht nur rhe-
torisch mit diesem thema befasst?


dagegen wäre es dringend erforderlich, weil Palästina überall ist und wir mit unseren waffen
schmieden und militärischen "hilfeleistungen" ein gutes teil
dazu beitragen, dass sich die flücht-
lingszahlen weltweit ständig erhöhen.

zudem erfordern die sogenannten hilfeprojekte, ob im Mittelmeer, in flüchtlingslagern, an grenz-
kontrollen möglichst weit entfernt von Europa, ständig
mehr milliarden Dollar und Euro, um unse-
re gewissen zu beruhigen.


es geht darum, aus der todes-ökonomie eine ökonomie des lebens zu machen, und damit
müssen wir im eigenen land anfangen, so
bitter das auch für alle, die sich mit dem militär
beschäftigen und
von ihm beschäftigt werden, sein mag. aber erst dann bekommen auch
völker und menschen aus Nahost und anderswo eine echte
chance auf ein leben in freiheit
und selbstbestimmung.


private hilfe ist aus der sicht des aussenstehenden kontraproduktiv, weil jeder cent, der das leben
erleichternd ins land fliesst, den machthabenden
die möglichkeit gibt, den status quo zu erhalten
anstatt sich unter dem zu
nehmenden druck der bevölkerung etwas positives für die zukunft ein-
fallen
zu lassen. milliardenhilfen, die auf der einen seite dem "wiederaufbau" dienen, auf der an-
deren seite jedoch zur nach- und aufrüstung verwendet
werden, um den nächsten konflikt erfolg-
reich mit gewalt beenden zu
können, sind wirtschaftszynismus pur.

natürlich wehre ich mich nicht gegen das prinzip privater hilfe. auch ich wäre froh, wenn ich solche
zur verfügung hätte, wenn ich im Nahen Osten leben
müsste. aber um von aussen wirklich etwas
zu verändern, um unsere bis
herige offensichtlich völlig erfolglose, ja konservierende staatliche einwir-
kung zu beenden, brauchen wir eine aussenpolitische strategie. wenn wir das vernachlässigen,
schrumpft jegliche private initiative zu einem gewis
senspflaster und trägt bestenfalls zur stabilisie-
rung der gegenwärtigen
regime bei.

also, auf, lass uns die warmen stuben der politiker mit abrüstungs- und friedenslobbyisten stürmen,
auf dass sie endlich aufwachen und erkennen,
welche aufgaben weltweit aussenpolitisch unver-
zichtbar sind, wenn wir
verhindern wollen, dass "Die Sintflut neben uns" (interessantes buch
von Stephan
Lessenich) uns eines tages mitreisst, ohne
dass wir eine chance hätten davon-
zukommen.


trotzdem, auch von uns herzliche advents- und weihnachtsgrüsse

dpe

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