ars et saliva

david p. eiser

zeitraffer



die firma zudi - mein persönlicher service - für sie
 

wenn sie zu den leuten gehören, die der meinung sind, das geld liege auf der strasse und man brauche
sich nur
  zu bücken, um es aufzuheben, dann sollten sie diese geschichte gar nicht erst lesen; denn es
wäre für sie nur
ein umweg.

ich fürchte, sie würden meine beweggründe nicht verstehen, die mich dazu gebracht haben, gerade
diesen beruf
  auszuüben, gerade diese firma ins leben zu rufen und am leben zu erhalten.

mein beruf, meine firma, ich, wir sind eins. mein ganzes wesen, ja meine ureigenste persönlichkeit
finden sie im
  firmenlogo konzentriert: zudi - zu diensten.

ich stehe jeder und jedem zur verfügung, sofern es meine möglichkeiten und kräfte nicht übersteigt.
es ist mir ein
persönliches anliegen und mein bestreben, dafür zu sorgen, dass sie auf ihre kosten
kommen.
wenn sie schwierigkeiten haben, den alltag zu bewältigen: wenden sie sich vertrauensvoll
an mich!

ich bin nicht mehr jung, halte dies allerdings für einen wesentlichen vorteil. meine lebenserfahrung
soll ihnen zugute
kommen; meine langjährigen beobachtungen und die akribie, mit der ich mich
meinem fach gewidmet habe, sind das unschätzbare kapital meiner firma. ich stehe gerade für meine
leistungen und erstatte ihnen ihre kosten, wenn sie
mit meinen leistungen nicht zufrieden waren.

soetwas spricht sich wie ein lauffeuer herum. dadurch erspare ich mir aufwendungen für werbung
in den medien.
aufwendungen, die nicht nur ihr geld sondern auch meine zeit kosten würden.
beides wiederum kann ich an sie
weitergeben, indem mein entgelt relativ niedrig bleibt und vielleicht
auch sie eines tages in der warteliste nach
oben rücken und in den genuss kommen, von meinen
diensten gebrauch machen zu können.

ich habe ein bescheidenes wesen. ich habe probleme, kontakt mit anderen menschen aufzunehmen.
ich bin scheu
und etwas linkisch. in alltäglichen situationen fällt es mir unter umständen schwer,
die fassung zu bewahren.
- wenn mich eine frau anspricht, werde ich auch heute noch rot und trete
verlegen von einem fuss auf den anderen.
in gesellschaft fällt mir nichts ein, obwohl mein kopf voll
ist von ideen und vorstellungen. aber ich schrecke davor
zurück, mich anderen zu offenbaren, die
ich gar nicht kenne und auch nicht kennenlernen möchte.

so schweige ich lieber und widme mich meinen beobachtungen und studien. auf diese weise habe
ich meine
erfahrungen gesammelt. inzwischen kann ich mich in jeder situation völlig frei und
ungeniert bewegen, solange
es sich um meine berufliche tätigkeit handelt. dann bin ich ganz
entspannt und locker, ganz konzentriert auf
mein tun, verspüre keinerlei verlegenheit oder
langeweile, fühle mich auch nicht angeödet oder gequält-gekünsteltem
dialog ausgesetzt;
nein, dann bin ich in meinem element, biete meine dienste an und bin glücklich, wenn mein

auftraggeber mit mir zufrieden ist.

leider - und ich bedauere dies aufrichtig - sind meine dienste nicht kostenlos. schliesslich bin auch
ich nur ein
normaler mensch, der ganz natürliche und ein paar ungewöhnliche bedürfnisse hat, die
befriedigt werden wollen.

aber bei jeder rechnung, die ich schreibe, quälen mich auch heute noch skrupel. immer wieder
ertappe ich mich
beim grübeln, ob denn der geforderte preis auch gerechtfertigt ist. und immer
wieder geschieht es, dass ich
einfach mal eine arbeitsstunde "vergesse" oder eine pauschale
reduziere, weil mir der auftraggeber leid tut;
nicht, weil er finanzielle probleme hätte, nein, sondern
weil mich seine persönlichen schwierigkeiten, deret
wegen er meine dienste in anspruch nahm,
berührten, mein mitleid erweckten und an meine empfindliche saite
schlugen, die saite des mitfühlens
und des erbarmens.

so konnte es geschehen, dass manche rechnung ungeschrieben blieb, mancher scheck nicht
eingelöst wurde,
weil mir nachträglich bedenken gekommen waren, ob denn meine leistung auch
im richtigen verhältnis zu den
schwierigkeiten gestanden hatte, mit denen mein auftraggeber zu
kämpfen hatte.

auf der anderen seite kenne ich keine skrupel, wenn ich das gefühl habe, eher als staffage zu
dienen denn als
notwendigkeit, um dem ego eines karrieresüchtigen vorschub zu leisten. meine
dienste sind primär für den
bedürftigen gedacht. für den menschen, der in not ist, der diese art
der hilfe benötigt, um seelisch überleben
zu können, aber nicht für leute, die eh von sich und ihrer
güte überzeugt sind und jemanden wie mich lediglich
als ornament benutzen, um bunter zu schillern.

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sie werden sich fragen, womit ich mein geld verdiene. was ist das für ein handwerk, das auf solche
überlegungen
zurückgreift? es ist schwierig zu erklären; denn es beruht auf dingen, die nicht auf
der schulbank vermittelbar sind.
es gibt keinen lehrberuf, der einen zum meister führt. keine
akademie, keine universität lehrt, was ich beherrsche.
ich glaube, ich bin der erste und einzige
meines fachs, und mit meinem dahinscheiden wird eines tages auch meine
firma erlöschen,
werden die rufe nach meinen diensten ungehört verhallen, und viele menschen werden ohne
meine
hilfe ihr leben gestalten müssen.

es wird ihnen etwas fehlen, was sie selbst nicht ersetzen können; etwas, was nur von einem
anderen menschen
kommen kann, gewünscht, herbeigesehnt, benötigt, bezahlt und abgegolten.
meine dienste sind meine persönlichen lebensäusserungen, die meinen unverbrauchten und
unverfälschten gefühlen entstammen. nur, ich habe im laufe
des lebens gelernt, daraus kapital
zu schlagen, weil andere sich von mir abhängig machten. ich habe aus meinen gesellschaftlichen
fähigkeiten - oder unfähigkeiten, wie sie wollen - nutzen gezogen, wovon ich zwar profitiere aber

andere menschen auch nicht zu kurz kommen lasse. meine - sozial nicht immer positiv bewerteten  -
verhaltensweisen
habe ich gepflegt, ausgebaut und bewusst in den dienst der öffentlichkeit gestellt,
als ich merkte, dass entsprechender
bedarf gegeben war. und so bestimmen merkmale wie zum
beispiel sogenannte störende geräusche einen wesent
lichen teil meines firmenangebots.

schniefen, hüsteln, räuspern, dezentes stöhnen, nesteln, kramen, rascheln zu passenden und
unpassenden gelegen
heiten, bei tag und bei nacht, taktvoll, präzise und zuverlässig, immer nach
wunsch und auftragsgemäss: das ist im
grunde die devise meiner firma.

glauben sie nicht, dass es sich dabei um banalitäten handelt, die jedermann zu leisten imstande
wäre. wie jedes
handwerk seinen kenner und könner hat, so hat auch mein beruf neben der
redlichkeit und der ehre seine berechti
gung, sich in die grosse familie der handwerke, ja sogar
der künstlerischen, schöpferischen handwerke einzureihen;
denn das, was ich "produziere",
ist jedes mal aufs neue einmalig, unverwechselbar, einzigartig. individueller kann kein

kunstwerk sein. nicht umsonst verbringe ich den grössten teil meiner arbeitszeit in schauspiel-
häusern, konzerthallen
und opernsälen.

dort, zwischen den sätzen und szenen, in den kunstpausen, die die akteure einlegen, da bin ich
gefragt. da lauern nicht
nur die regisseure, die sänger und schauspieler, nein auch die berühmtesten
dirigenten, ja ganze orchester auf meine
intermezzi. bei grossaufträgen werde ich im regieplan
berücksichtigt und erhalte meine stichworte wie die schauspieler.
von akt zu akt wechsele ich
meinen platz; vom parkett in die loge, auf den rang, hinter die kulissen, wo immer es dem
gewünschten effekt dienlich erscheint.

und dann ertönt, exakt zum vorbestimmten augenblick, mein hüsteln, begleitet von einer bedächtigen
geste, indem ich
langsam die rechte hand zum munde führe und mit den ausgestreckten fingerspitzen
vorsichtig die lippen berühre, um
das drückende schweigen im auditorium zu konterkarieren. -
in solchen momenten empfinde ich professionelles glück.

und es macht mir überhaupt nichts aus, von meinen nachbarn in den stuhlreihen angesehen zu
werden. im gegenteil.
ich messe den effekt meiner intervention an der art und dem ausmass der
zuwendung, die ich vom publikum erhalte;
denn ich bin kein gnadenloser störer, kein kulturbanause,
dem es egal ist, wo er seinen reizhusten abreagiert. ich
weiss: meine handlung ist von höchster
stelle eingeplant.

der applaus, von dem der schauspieler lebt, ist mir fern. ich bin kein mensch, der sich vor anderen
verneigt, um sich
zu bedanken. mein lohn ist die warteliste mit den kundennamen. je länger diese
liste, desto zufriedener bin ich. und
entsprechend cool kann ich mich dem publikum präsentieren;
weiss ich doch, dass meine dienste unverzichtbar sind.

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neulich sprach mich der pfarrer unserer gemeinde an und klagte mir sein leid. er erzählte mir von
seiner angst, der
typischen, weit verbreiteten angst des redners vor starrem publikum. wie ein
alptraum verfolge ihn die wahrnehmung
der kirchengemeinde während der messe. er fühle sich
einsam und allein vor dem altar und auf der kanzel, und die
gemeinde empfinde er manchmal als
moloch, den es zu befriedigen gelte, wobei er aber nie wisse, ob er tatsächlich
das richtige wort,
die richtige geste gefunden habe. eines tages, so sein traum, werde er verschlungen von dieser

masse, ohne zu wissen, warum und ohne sich rechtfertigen zu können.

er habe von einem gemeindemitglied erfahren, womit ich mich beruflich beschäftige und bitte nun
darum, ihm in seiner
arbeit unterstützung zu gewähren. - zur zeit bin ich also dabei, mit dem herrn
pfarrer die heilige messe zu gestalten. wir
haben ein liturgisches konzept erarbeitet, das auf dem
prinzip gegenseitiger auslöser beruht. um zum beispiel die
kommunikation zwischen priester und
gemeinde während der predigt zu fördern, baut der herr pfarrer einige spezielle
reizworte in seinen
predigttext ein, die, gefolgt von einer kunstpause, von mir durch entsprechende lautäusserungen

beantwortet werden. es handelt sich durchweg um nonverbale reaktionen meinerseits, die er dann
benutzt, um -
scheinbar spontane - gegenreaktionen vollziehen zu können.

bei einem "probelauf" am letzten sonntag kam tatsächlich bewegung in die gemeinde, als man
meiner aktion offen
sichtlich eine zweifelnde glaubensgrundhaltung unterstellte; denn ich hatte
es gewagt, des pfarrers hinweis auf die
qualen des fegefeuers mit einem knurrenden räuspern,
gefolgt von zischlauten, wie sie das ausspeien von unappetit
lichen dingen begleiten, zu
beantworten. dies zog die unmittelbare aufmerksamkeit in den drei vor mir befindlichen

bänken, sowie in den zwei im seitenschiff neben mir stehenden bänken auf mich und wahr-
scheinlich auch der leute,
die hinter mir sassen; denn ich nahm ihre plötzliche unruhe wahr,
ihr füssescharren, das raunen, das rascheln der
kleidung, wenn man sich seinem nachbarn
zuneigt, um ihm etwas ins ohr zu flüstern. -

ich war in meinem element.

später am vormittag rief mich der geistliche an, strahlte und konnte sich nicht satt reden vor
begeisterung. er habe
so viele rückmeldungen wie noch nie erhalten, als er seine gemeinde am
kirchenportal verabschiedete. wir müssten
uns unbedingt in dieser woche noch zusammen-
setzen, um den plan für den kommenden sonntag auszuarbeiten.

 
 

© dpe 1994

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