ars-et-saliva


david p. eiser
 

zeitraffer


zuflucht  '82


der tag war kühl, die sonne stand nicht mehr so hoch, und es wehte ein frischer wind von nordwest. - olaf war auf dem weg.

 

fröstelnd zog er die schultern hoch, packte seinen kater beim schlaf­ittchen, hob ihn auf und steckte ihn unter die jacke.
so hatte er wenig­stens etwas, was ihn wärmte. weil er nicht wusste, ob er rechts oder links entlanggehen sollte, ging er
geradeaus, immer weiter.

 

einmal stolperte er fast über jemanden, der am boden lag. er beugte sich nieder, schaute genau hin und ergriff diesen
schliesslich bei der hand, um ihn hochzuziehen. der aber stöhnte bloss und war ungeheuer schwer.

 

olaf setzte sich daneben und wartete, bis der andere sich langsam aufrich­tete, ihn verschlafen ansah und fragte: "na, du?" -
dabei wischte er sich mit dem ärmel durchs gesicht. olaf starrte ihn mit offenem mund an und sagte nur: " da, da." der
andere stand schliess­lich auf, brummte etwas vor sich hin und ging davon. olaf trottete in einiger entfernung hinterher.

 

an demselben tag zogen zwei in südlicher richtung durch die ebene. der eine, halb sitzend, halb liegend auf  einer wackeli­gen
holzkarre, wurde von einem zweiten geschoben. der auf der karre hatte seine beine weit ausge­streckt und rührte sich kaum,
aber hin und wieder sprach er ein paar worte, die den zweiten anscheinend dazu veranlass­ten, die karre mal hierhin, mal
dorthin zu schieben. der zweite machte einen gelangweil­ten eindruck, schaute immer in die ferne und hielt sich an der karre fest.

 

"pass auf", sagte der mit den beinen  -  man konnte das nur sehr schwer verstehen  -  "jetzt mehr nach hier." dabei lehnte er
sich mehr nach rechts, und der mit dem starren blick gab der karre einen ruck zur rechten seite, und so kamen sie an den
eingang einer scheune, aus der laute stimmen zu ihnen drangen. "oh," sagte der mit dem starren blick und blieb stehen.
der andere versuchte, mit seinem knüppel das scheunen­tor weiter aufzuschieben und rief dann seinem begleiter zu: "los!"
und schaukelte aufgeregt in seiner karre hin und her.

 

in diesem augenblick näherte sich auch der verschlafene der scheune, und hinter ihm tauchte olaf auf, immer noch mit seinem
kater unter der jacke. die vier erschienen sozusagen zusammen in der mitte der scheune, wo schon drei andere versammelt
waren, eine frau, ein kleines mädchen und ein mann.

 

der mann stand und ging so weit nach vorne gebeugt, dass er sich mit einem stock abstützen musste, um nicht vornüber ­zu
fallen.  man konnte gar nicht erkennen, ob er ein freundli­ches oder ein böses gesicht machte. man hätte es nur sehen können,
wenn er sich hinsetz­te; oder man selber hätte sich auf die erde legen müssen.

 

die frau war unheimlich dick und hatte ganz lange, unge­kämmte haare, in denen sie immer mit den fingern herumwühl­te. dabei
sass sie auf dem boden - oder vielleicht auch auf einem bund stroh - wiegte sich hin und her und trällerte ganz unverständlich
vor sich hin. in ihrem schoss lag ein halbes brot.

 

an ihrer seite stand ein einfaches kinderbettchen, an dem nur noch drei räder befestigt waren. das vierte rad war an
schei­nend abgegan­gen, jedenfalls lag es obendrauf, zu füssen des mädchens, und das bett hing jetzt zur einen seite runter.

 

die kleine rührte sich nicht. sie lag da ganz still, hatte die augen geöffnet und schaute nach oben. - eigentlich war ihr kopf im
verhält­nis zu dem zarten körper viel zu gross. - nun ja ...

 

olaf lief zu der frau, grabschte sich das brot und nagte eine weile daran herum, bis der in der karre wild gestikulierend
rief: "hey, das brot!" und seinem begleiter durch ruckeln zu verstehen gab, dass er ihn weiter­schieben sollte. olaf liess sich
wehrlos das brot aus der hand nehmen. der in der karre biss sich ein grosses stück ab, schmatzte laut vor sich hin und
wandte sich alsbald schimpfend nach seinem begleiter um, der ihm den kanten mit schnellem griff entrissen hatte und
nun seinen eigenen hunger damit stillte.

 

der verschlafene stand stumm daneben und schaute unent­schlossen in die runde. -

 

allmählich wurde es dunkel in der scheune; olaf schlief schon; der kater war längst auf mäusejagd; der alte mit dem krum­men
kreuz hatte sich ins heu fallen lassen, hielt seinen stock aber noch fest in der hand; das kind hatte ein paarmal laut
aufgeschrieen, war jetzt still und schien zu schlafen; die frau war aufgestanden, ans tor gegangen und stand nun in dem
letzten streifen helligkeit wie ein massiger felsblock, regungs­los und starrte in die ebene hinaus; der karren­schieber un
d sein kumpan hatten sich wohl wieder vertragen; jeden­falls hatten sie sich gemeinsam in eine ecke begeben, wo sie auf
drei seiten durch hohe strohballen geschützt waren, so dass sie von den anderen kaum noch gesehen werden
konnten; der verschlafenen hatte eine menge stroh auf die erde gestreut und sich hineingelegt; er lag auf dem rücken und
schnarchte lauthals vor sich hin.

 

als der mond um die scheunenecke schaute, warf er einen unförmigen schatten durch das tor; denn die frau hatte sich bis
dahin nicht bewegt.

 

                                                                                              *

 

in dieser nacht wartete ein geheimnis auf seine offenbarung. die sieben in der scheune wussten von nichts, es sei denn,
der eine oder andere hatte einen traum.

 

der alte mann wurde jedenfalls als erster wach. es stand jemand neben ihm, ein fremder, der ihm freundlich "guten morgen!"
wünschte, und ihm half, sich aufzurichten. er spürte, wie leicht auf einmal alles ging, so ganz anders als sonst, und er musste
lächeln.

 

olaf fühlte sich gekitzelt und musste so lachen, dass er davon er­wachte. das erste, was er sah, war die kleine schnauze seines
katers, dicht neben ihm auf dem nachttisch. "nacht­tisch?" dachte er und wollte gerade er­schrecken, aber da kitzelte es schon
wieder, und er schaute nach unten, und siehe, da sass jemand auf seiner bettkante und griff ihm ab und zu in die rippen. dieser
jemand lachte dabei, strich ihm dann über die haare und fragte: "na, gut geschlafen, olaf?"

 

währenddessen war die dicke plötzlich aufgetaucht. sie stemmte die arme in die hüften und bewegte sich tänzelnd vorwärts,
vorbei an olaf und dem jemand auf der bettkante, hin zu einem korbwägelchen, worin das kleine mädchen lag. sie beugte sich
herab zu dem blassen gesicht, so dass ihre haare sich wie ein breiter vorhang um das ganze kind schlos­sen, und nur ein
paar sonnenstrahlen fielen wie in einem stillen dom durch die hohen fenster in die augen des kleinen mädchens.

 

der verschlafene sass am fenster in einem üppig gepolsterten lehn­stuhl und rauchte. dichte qualmwolken hatte er schon
ausgestossen, und in der ruhigen luft konnte man die rauch­schwaden erkennen, die sich wie durchsichtige berge
vor der sonne aufgeschichtet hatten. der mann summte eine melodie vor sich hin, ganz leise nur. alle schienen zuzuhören.

 

der mit den beinen war nun auch wach geworden. er lag noch in seinem schneeweissen bett, ergriff jetzt den holzknüppel
und schwenk­te ihn im takt hin und her, während sein kumpan schon angezogen an seinem bett auftauchte, ihm den knüppel
wegnahm und ihm half, sich auf die bettkante zu setzen.

 

später fanden sich alle auf einer weiträumigen terrasse wieder. ein grosser tisch war gedeckt, und es gab reichlich zu essen
und zu trinken. der fremde und der jemand gingen schweigend hin und her, schleppten noch mehr herbei, brach­ten das
benutzte geschirr weg und zeigten sich als die aufmerksamsten gastgeber, die man sich nur wünschen kann. -

 

am nachmittag sassen alle in der runde zusammen. ein friedli­cher ausdruck lag auf ihren gesichtern. auf dem tisch standen viele
kerzen und brannten ruhig und stetig vor sich hin.

die sieben strahlten eine wohlige zufriedenheit aus. olaf brauchte keinen kater mehr zum wärmen, und das kleine mädchen sass
jetzt aufrecht in seinem bequemen wagen, lächelte still vor sich hin und wartete auf das nächste wun­der.

 

erst als die kerzen erloschen, wurde es kalt. -

 

ein windzug fauchte plötzlich durch den raum, wirbelte stroh und heu durcheinander; staub, spreu und blätter fegten in
turbulenten bögen bis unters dach; man musste die augen fest zusammenkneifen. -
 

die dicke schlurfte zum scheunentor hinüber und blickte in die nacht hinaus. der wind zauste in ihren langen haaren. - so stand sie
dort, unbewegt im bleichen licht des mondes, der auf die scheune schaute und ihren breiten schatten auf die erde warf.

 


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1982